5 Juli 2020

Spanferkel und Jahrestag (15)

Nächste Woche ist unser Jahrestag, sagt Schatz. Was sollen wir machen?

Wir könnten Essen gehen, sage ich.

Gute Idee. Damit unterstützen wir gleich unsere Gastronomen. Die haben die letzten Monate sehr gelitten. 

Unsere Wahl fällt auf „Das goldene Spanferkel“ mit guter deutscher Hausmannskost. Schatz bestellt einen Tisch. 

Fünfzehn Minuten vor der Reservierung sind wir vor Ort. Vor dem Eingang eine längere Schlange maskierter Leute. An der Tür steht ein Mann, groß mit Glatze und wahnsinnigen Muskeln. Schatz steuert direkt auf ihn zu.

Reserviert?, fragt er.

Ja, sagt sie. Für Zwanzig Uhr.

Der Riese schaut auf die Uhr und sagt. 

Viertelstunde warten!

Er deutet auf eine Parkbank, die vor dem Eingang an der Seite steht. Wir setzen uns und beobachten die Leute in der Schlange. Ab und zu dürfen einige der Wartenden ins Lokal.

Gut, dass wir reserviert haben, raunt mir Schatz zu.

Um Acht sprechen wir den Kerl wieder an. 

Maske aufsetzen, pflaumt er uns an. Wir folgen gehorsam seinem Befehl und dürfen schließlich eintreten. Im Inneren sind die Tische weiträumig abgesperrt. Wie im Museum hat man Pfosten aufgestellt und sie mit Ketten verbunden. Ein maskierter Kellner begrüßt uns. Auch er sieht aus wie einem Fitnessstudio entsprungen. Mir ist unwohl. Ich schaue zu Schatz. Sie strahlt den Kellner an. Offenbar steht sie auf Muskelprotze. Ich sollte demnächst mal ein Probetraining vereinbaren. Der Kerl führt uns den Gang entlang und bleibt vor einem kleinen Tisch stehen. 

Hier, sagt er und hakt die Kette aus. Wir schlüpfen hinein in das Gehege und hinter uns schließt er es wieder. 

Ob die unter Strom gesetzt wird?, raune ich Schatz zu und deute auf die Kette. 

Du bist albern, sagt Schatz und setzt sich, wir sind doch keine Rinder.

Neunzig Minuten, sagt der Kellner

Bitte?, fragt Schatz.

Der Platz ist neunzig Minuten reserviert.

Und dann?

Dann kommen die nächsten Gäste. Wir mussten unsere Kapazität halbieren. Deshalb können wir unseren Gästen nur eine begrenzte Zeit die Tische zur Verfügung stellen. Wir müssen schließlich auch überleben.

Mit diesen Worten dreht er sich um und geht.

Früher war das hier anders, sage ich. 

Vielleicht hat der Besitzer gewechselt, meint Schatz. Aber irgendwie ist er schon süß.

Wer?

Der Kellner.

Na ja.

Auf dem Tisch liegt eine Karte. Dort steht eine Anleitung, wie man bestellt. 

Scannen Sie bitte mit ihrem Smartphone diesen QR-Code ein. Dann installieren Sie unsere App, mit der sie alle Speisen und Getränke bestellen können. Außerdem zeigt ihnen das Programm an, wie viel Zeit ihnen noch bleibt, bis sie den Tisch verlassen müssen.

Schatz nimmt ihr Handy und folgt den Instruktionen. 

Die Speisekarte hat sogar eine Suchfunktion, sagt sie, nachdem sie die App geöffnet hat. Alles, was nicht verfügbar ist, wird grau unterlegt.

Toll, sage ich und betrachte die flackernde E-Kerze auf dem Tisch. Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee, Essen zu gehen, denke ich. Irgendwie fehlt die Romantik. 

Wir müssen uns beeilen, reißt mich Schatz aus meinen Gedanken, wir haben nur noch 84 Minuten. Wollen wir wieder die gemischte Platte für zwei Personen nehmen?

Meinetwegen, sage ich. 

Möchtest du Pommes Frites dazu?

Unbedingt.

Ich nehme keine. Die haben tierisch viele Kalorien. Lieber einen Salat. Du auch?

Muss nicht sein.

Ok, sagt sie und tippt auf das Display. Und den trockenen Roten?

Ja.

Und eine Flasche Wasser?

Dann musst du zu oft pinkeln.

Geht schon. Wenn ich zu wenig trinke, kriege ich Kopfschmerzen. Also eine Flasche, ja?

OK.

Es dauert einige Minuten, dann kommt eine Kellnerin. Sie braucht nicht einmal die Kette zu entfernen sondern reicht uns geschickt mit einem Greifarm die Getränke. Wir lüpfen unsere Gesichtsmasken und stoßen an. Der Kellner von vorhin stiefelt durch das Restaurant beobachtet uns mit stechendem Blick. 

Wie im Knast, denke ich. Schatz hat ihr Smartphone auf den Tisch gelegt, damit wir den Countdown sehen können. Noch 79 Minuten.

Früher war’s hier gemütlicher, sage ich.

Jetzt verdirb uns nicht den Abend. Ist doch schön, mal wieder unter Menschen zu sein.

Ich zucke die Achseln. 

Also, sagt Schatz und setzt ihr feierliches Gesicht auf, wir haben heute Jahrestag. Heute vor fünf Jahren sind wir zusammengekommen. 

Eigentlich hatten wir uns ja schon vorher gekannt, werfe ich ein.

Ja, aber zusammengekommen sind wir erst, als du mich geküsst hast.

Du hast mich geküsst, widerspreche ich.

Weil du dich nicht getraut hast. Aber eigentlich wolltest du das auch. Oder? Sie schaut mich fragend an. Ich nicke. 

Warum haben wir keinen Sekt bestellt?, frage ich. Heute wäre doch ein Grund dafür anzustoßen.

Ich mag keinen Sekt.

Na ja, ich eigentlich auch nicht. Dann stoßen wir eben mit dem Rotwein an. Wir nehmen unsere Gläser in die Hand und prosten uns zu.

Auf die nächsten fünf Jahre, sagt sie.

Nur fünf? Nicht zehn oder zwanzig.

Ach wer weiß schon, was in fünf Jahren ist. Du siehst ja, wie schnell sich das Leben ändern kann. Schatz lächelt mir zu. Mir wird etwas unwohl. 

In Minute 58 kommt unser Essen. Es wird mit einem Servierwagen bis zur Absperrung gefahren. Man fordert uns auf, ihn unter der Kette durchzuziehen, sobald die Kellnerin gegangen ist. 

Wir folgen der Anweisung, holen uns unser Essen, nehmen uns Servietten, Besteck und Teller und schließlich unser Essen. Auf dem Gefährt liegen auch Desinfektionstücher mit der Aufschrift: Bitte desinfizieren sie bei der Rückgabe des Geschirrs die Griffe des Wagens.

Teller und Besteck sind in Plastiktüten eingeschweißt. Auf der Folie steht das Datum der Sterilisation. Die Platte ist zum Glück nur mit Klarsichtfolie abgedeckt. In Minute 51 sind wir mit den Vorbereitungen fertig. 

Schatz macht sich über ihren Salat her. 

Darf ich?, fragt sie und deutet auf die Schale mit den Pommes Frites.

Klar, sage ich. Ich hätte mir zwei Portionen bestellen sollen, denke ich. Wir stoßen mit dem Wein erneut an und beginnen mit dem Essen. 

Dieses Fleisch schmeckt irgendwie nach Plastik, sage ich. Ob das an der Folie liegt?

Das bildest du dir nur ein, sagt Schatz und schaufelt sich noch einige Pommes auf ihren Teller. 

Die schmecken gut, sagt sie. Dann trinkt sie ein ganzes Glas Wasser. 

Vielleicht ein wenig salzig, fügt sie hinzu.

Nachdem sie sich mit ihrem Salat beschäftigt hat, nimmt sie die restlichen Pommes Frites. 

Mir bleibt nur das Plastikfleisch und einige Gemüsebeilagen. 

Also, sagt sie kauend. Ich denke wir bleiben zusammen. 

Hattest du denn etwas anderes überlegt?, frage ich völlig schockiert. 

Es läuft nicht so rund, zwischen uns.

Wirklich?, stoße ich entsetzt aus.

Na ja, du könntest mir öfter mal eine WhatsApp schreiben. Meine Kolleginnen bekommen ständig von ihren Männern welche.

Mein Smartphone ist zu alt.

Kurznachrichten schreiben ist nun wirklich kein Hexenwerk, das kann jedes Handy, egal wie alt. 

Ich bin völlig sprachlos. 

Und deswegen hast du überlegt mich zu verlassen?, frage ich, nachdem ich mich wieder gesammelt habe.

Nein, nicht nur. Aber jetzt mach dir mal keine Sorgen. 

Keine Sorgen? Wo du mir gerade erklärt hast, dass du mich vielleicht verlassen willst?

Ich habe mich ja entschieden, bei dir zu bleiben. Du siehst das viel zu dramatisch. 

Dramatisch… murmle ich. 

Willst du noch einen Nachtisch?, fragt mich Schatz. 

Dazu reicht die Zeit nicht mehr. 

Sie hat sich gerade das restliche Fleisch auf ihren Teller geschöpft. 

Na gut, dann esse ich auch kein Eis mehr, sagt sie. 

In Minute 16 haben wir es schließlich geschafft. Schatz lehnt sich zurück und sagt: 

Jetzt muss ich mal.

Sie macht Anstalten aufzustehen. Gleich kommt der Kellner angerannt.

Was wollen Sie tun?, fragt er.

Ich muss mal, sagt Schatz. 

Haben Sie reserviert?

Was? Die Toilette?

Ja?

Nein, sagt Schatz verwirrt.

Sie müssen sich über die App in die Warteliste eintragen.

Warteliste?, sagt Schatz halb panisch. Aber ich muss jetzt.

Tut mir leid, sagt der Kellner unerbittlich. Außerdem müssen Sie die Maske wieder aufsetzen, wenn Sie den Tisch verlassen. 

Schatz tippt auf ihrem Smartphone herum. Unter „Sonstiges“ findet sie die Warteliste. Sie trägt sich ein. 

Bitte haben Sie ein wenig Geduld, steht auf dem Display. Es sind noch fünf Gäste vor ihnen.

Ich pinkle gleich in die Hose. Schatz rutscht verzweifelt auf dem Stuhl hin und her. 

In Minute vier zahlen wir. Schatz ist immer noch nicht an der Reihe. Es sind drei vor ihr. 

Was machen die nur so lange auf dem Klo, murrt sie.

Die müssen das WC nach jedem Toilettenbesuch eines Gastes desinfizieren, erkläre ich ihr.

Ruf uns ein Taxi, sagt sie, sofort!

Wir wohnen nur 10 Minuten Fußweg von hier.

10 Minuten sind zu viel. 

Panik in ihren Augen. Ich bestelle über Internet ein Taxi. Wir haben Glück. Innerhalb einer Minute steht es vor der Tür. Wir verlassen fluchtartig das Lokal und steigen in den Wagen.

Dieses Jahr ist furchtbar, sagt der Taxifahrer. 

Können Sie bitte losfahren, sagt Schatz.

Immer langsam, junge Frau. Der März und der April waren katastrophal. Kaum Fahrgäste in der Nacht.

Wenn Sie nicht gleich losfahren, pinkle ich Ihnen ins Auto.

Auf der Stirn des Taxifahrers bilden sich Runzeln. Sorgenfalten. Er tritt aufs Gas. Die Fahrt dauert drei Minuten, dann stehen wir vor der Haustür. Schatz stürzt aus dem Wagen und sprintet nach oben in die Wohnung. Ich bezahle den Fahrer.

Frauen haben schwache Blasen, typisch!

Sie hat viel zu viel Wasser getrunken, sage ich. 

Als wenn sie’s nicht wüssten, lacht er.

Sind Sie verheiratet?, frage ich.

Geschieden.

Dann haben Sie ihrer Frau zu wenig SMS geschickt.

Meinen Sie? Daran habe ich noch gar nicht gedacht. 

Frauen sind kompliziert, seufze ich, gebe ihm ordentlich Trinkgeld und steige aus. 



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Verfasst 5. Juli 2020 von Simon in category "Satire", "Schatz und ich

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