1 Dezember 2019

Weiter, du faule Sau! (6)

Samstagmorgen. Mein Fitnessarmband sagt mir, ich hätte nur 78 Prozent geschlafen. Das beunruhigt mich. Was heißt das, 78 Prozent? Wo sind die anderen 22 Prozent? Muss ich die jetzt noch schlafen, damit ich richtig wach werde? Gedankenversunken mache ich mir einen Kaffee und schaue aus dem Fenster.

Es gibt Regen, sage ich laut.

Vergiss es, ruft Schatz aus dem Badezimmer heraus.

Doch, da ist eine Wolke.

Den ganzen Morgen nervst du mich schon damit. Nur weil ein paar Cumuluswolken am blauen Himmel sind.

Da ist eine ganz große, da vorne.

Egal, wir werden heute Laufen. Sie kommt aus dem Badezimmer mit ihren heißen Joggingsachen. Hauteng und glänzend.

Na gut.

Mit dem Auto fahren wir zum Wald. Dort ist ein Parkplatz für Wanderer, Hundebesitzer, Pilzsucher und solche Leute.

Wir müssen unsere Fitness-Armbänder noch konfigurieren, sagt Schatz, während ich fahre. Ich habe die Bedienungsanleitung mitgenommen, sagt sie. Da steht, es gibt verschiedene Motivationsniveaus, von niedrig bis extrem. Ich denke, wir nehmen extrem. Wir brauchen beide ein bisschen Ansporn.

Sie haben Fitnesscoaching extrem gewählt, sagt eine männliche Stimme aus dem Armband. Schatz zieht es mir an. Dann macht sie das gleiche mit ihrem eigenen Armband.

Wir sind da. Grauer November, grauer Wald. Trotzdem sind Leute unterwegs. Auch einige Jogger sehen wir. Es ist kalt. Ich friere trotz Funktionskleidung.

Los jetzt, ruft es aus meinem Armband.

Toll, oder?, quiekt Schatz begeistert, während sie mit den Zähnen klappert.

Ja, murre ich.

Wir müssen uns vor dem Laufen warm machen, sagt sie. Sie beginnt, mit den Armen zu schwingen, als wolle sie fliegen. Ich mache das Gleiche. Irgendwelche Wanderer kommen vorbei und sehen uns irritiert an.

Weiter du Lusche, ruft es aus meinem Armband, als ich einen Moment innehalte. Die Wanderer blicken uns erschrocken an und gehen schnell weiter.

War das alles?, tönt es aus dem Armband von Schatz.

Geil, oder?, ruft sie.

Na ja.

Wir treten noch ein wenig auf der Stelle, so wie die Fußballspieler im Stadion, kurz bevor das Spiel beginnt. Schließlich rennen wir los. Das Armband zeigt an, wie schnell wir laufen, wie weit wir schon gelaufen sind, wieviele Kalorien wir bisher verbraucht haben und wie hoch unser Puls ist.

Weiter, du faule Sau, ruft jetzt mein Armband. Der Schweiß tropft mir von der Stirn. Schatz schnauft wie eine Dampflokomotive.

Ganz langsam und locker, keucht sie mir entgegen.

Schneller, du Schnecke, antwortet ihr Armband.
Ich bin völlig außer Atem. Schatz ebenso.

Laufe wacker, alter Knacker, tönt es fast zeitgleich aus unseren beiden Armbändern.

Wie weit sind wir schon gelaufen?, hechelt sie.

Ich schaue nach.

200 Meter.

Man soll es am Anfang nicht übertreiben, schnauft sie.

Wer sagt das?

Bruno.

Wer ist Bruno.

Der Hübsche aus dem Geschäft.

Dieser Muskelprotz, der uns im Sportgeschäft bediente? Ich erinnere mich gar nicht daran, dass er sich uns vorstellte. Und dass er so etwas sagte, hörte ich auch nicht. Ich bekomme Seitenstechen. Ein Blick aufs Armband, zeigt mir, dass wir mittlerweile 250 Meter gelaufen sind. Die Kleidung klebt an meinem Körper. Wie war das mit semiperme- Dingsbums?

Ich kann nicht mehr, keucht Schatz und bleibt stehen. Das kommt mir gerade recht. Ich kann schon seit 150 Metern nicht mehr, wollte mir aber keine Blöße geben.

Soll ich dir Beine machen?, ruft mein Armband.

Weiter, du faule Sau, tönt der elektronische Coach von Schatz.

Kann man die Dinger abstellen?, fragt sie.

Keine Ahnung. Du hattest doch die Gebrauchsanleitung.

Die liegt noch im Auto.

Los jetzt, nervt mein Armband.

Auf gehts, das von Schatz.

Wenn wir jetzt zum Wagen zurücklaufen, haben wir heute einen halben Kilometer geschafft, schlage ich vor. Ist doch nicht schlecht.

Stimmt!

Und Bruno meint ja auch, wir sollen langsam anfangen, sage ich.

Genau. Immerhin, wir haben 13 Kalorien verbraucht, sagt sie mit Blick auf ihr Armband

Das ist doch schon was. Jetzt noch zurück, dann sind es schon 26.

Super, für den ersten Tag.

Wir laufen zurück. Als wir wieder am Auto sind, schaue ich in die Gebrauchsanleitung. Wie schaltet man den Coach nur ab?

Da steht nix, sage ich zu Schatz.

Los weiter, kille deinen inneren Schweinehund, ruft mein Armband, lass ihn leiden!

Die haben so einen Schutz, dass man sie nicht gleich wieder abstellen kann. Wir müssen glaube ich 24 Stunden warten.

Echt jetzt?

Mir reicht es. Ich sammle unsere Armbänder ein und stecke sie ins Handschuhfach. Dort grummeln sie weiter vor sich hin.

Zuhause angekommen duschen wir.

Da fühlt man sich doch richtig gut, oder?, sagt Schatz begeistert, als wir später auf dem Sofa sitzen.

Stimmt, sage ich.

Da hat man was gemacht, sich körperlich ein bisschen gefordert, redet sie weiter.

Ja, sage ich.

Und jetzt habe ich so richtig Hunger.

Ich auch.

Lass uns Pizza bestellen.

Das haben wir uns verdient, nicke ich zustimmend.


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Verfasst 1. Dezember 2019 von Simon in category "Satire", "Schatz und ich

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