5 Oktober 2019

Lügenpresse

Wenn man die Zeitung nicht liest, ist man nicht informiert. Wenn man die Zeitung liest, ist man falsch informiert. (Mark Twain 1835 – 1910)

Das Wort „Lügenpresse“ wurde schon seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts benutzt. Zuerst von konservativen Katholiken, die damit die aufkommende bürgerlich-liberale Presse diffamieren wollte. Im Ersten Weltkrieg wurde der Ausdruck für die Medien der Feinde verwendet. Die Nazis schließlich brachten das Wort mit ihrer Theorie der „Verschwörung des Weltjudentums“ in Verbindung. Nach dem Krieg verschwand es viele Jahre aus dem Sprachgebrauch. Seit einigen Jahren ist es nun wieder in Mode gekommen. Da „Lügenpresse“ zuletzt von den Nationalsozialisten verwendet wurde, ist es wenig verwunderlich, dass es vor allem im rechten Spektrum Anklang findet.

Im Jahr 1943 hatte der englische Schriftsteller George Orwell sein Manuskript zu Animal Farm fertiggestellt, in dem er in Form einer Fabel den Stalinismus beschrieb. Tatsächlich wurde das Buch von den meisten Verlegern abgelehnt. Damals war England mit Russland verbündet und niemand wollte ein anti-stalinistisches Werk herausbringen. Er verfasste nach dieser Erfahrung später eine sehr lesenswerte Abhandlung über Presse- und Meinungsfreiheit. Die Erkenntnisse, die er dort über die britische Presse gewinnt, lassen sich durchaus auch auf unsere Verhältnisse übertragen. Er beklagt sich, dass unpopuläre Ideen und unbequeme Tatsachen gerne verschwiegen werden. Nicht etwa, weil da jemand ist, der dies steuert. Es geschieht zum großen Teil freiwillig. Er spricht von einer Art Orthodoxie, von der niemand abweichen möchte, weil er sonst in Verruf gerät.

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Die Situation hat sich kaum geändert. Auch heute noch gibt es den Schafsherden-Journalismus. Ein Journalismus, der einer gängigen öffentlichen Meinung folgt, ohne sie zu hinterfragen. Als Beispiel seien die Kriegseinsätze der Nato im Kosovo, in Afghanistan und in Libyen genannt, die allesamt völkerrechtswidrig waren. Kein Wort fand und findet man in der handelsüblichen Presse darüber. Man fragt sich als Leser einer renommierten Zeitung, ob die Redakteure glauben, man könne den Artikel 2 der UN-Charta nicht lesen oder verstehen. Statt Kritik an der eigenen Politik zu üben, wird viel lieber mit dem Finger auf andere Länder gezeigt. Diese werden als Ausgeburt des Bösen darstellt, wie zum Beispiel Russland oder (langsam wieder im Kommen) den Iran. Brauchen echte Demokratien Feinde? Von Diktaturen weiß man, dass sie am stabilsten bleiben, wenn sie die Bevölkerung auf einen Feind von außerhalb einschwören. Ist es um unsere Demokratie wirklich so schlecht bestellt, dass Länder, die andere als unsere Interessen verfolgen, zu bösartigen und gefährlichen Schurken-Staaten erklärt werden müssen?

Trotz allem würde ich das Wort „Lügenpresse“ nicht benutzen, weil es eine unzulässige Verallgemeinerung ist. An einen direkten Einfluss der sogenannten „Machteliten“ glaube ich nicht. Einen indirekten Einfluss halte ich dagegen für sehr wahrscheinlich. Aber – auch reiche Menschen werden nur dann reicher, wenn man ihre Produkte erwirbt. Also ist das erste Interesse des Eigentümers eines Presseverlags, seine Druckerzeugnisse zu verkaufen. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein geschäftstüchtiger Großverleger auf den Gedanken kommt, eine ausgewogenere Berichterstattung anzubieten? Ich bin sicher, ein solches Produkt fände einen regen Absatz.

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Abgesehen davon gibt es auch heute schon kritische Stimmen in den Printmedien und im Fernsehen. Zudem decken investigative Journalisten immer wieder Skandale auf (z. B. Panama-Papers). Alternativen Medien im Internet, die nur auf Spendenbasis operieren, könnten das kaum aufarbeiten. Auch für Whistleblower sind diese großen Medien enorm wichtig. Die Informationen, die Edward Snowden lieferte, mussten über Monate analysiert und aufbereitet werden. Das erforderte enorme (u. a. finanzielle) Ressourcen.

Lügenpresse beinhaltet den Begriff Lüge. Wenn ich meinen Standpunkt kundtue und jemand eine andere Meinung hat, ist das noch keine Lüge. Bestenfalls ist es gelogen, wenn ich meine Überzeugung bewusst als Tatsache deklariere. Wenn ich eine Lüge publiziere, die ich für die Wahrheit halte, bin ich kein Lügner. Was mich allerdings nicht von der Verantwortung für den Schaden entbindet, den meine verbreitete Unwahrheit anrichtet. Ich glaube schon, dass die meisten Journalisten das schreiben, was sie für die Wahrheit halten. Problematisch ist nur, dass eben diejenigen, die die Wahrheit anders sehen, nicht gedruckt werden.

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Aus dem vorherigen Abschnitt ist erkennbar: Wer über die“Lüge“ spricht muss immer auch den Begriff „Wahrheit“ hinzuziehen. Viele Menschen stehen der Wahrheit sehr skeptisch gegenüber. Vor allem deshalb, weil uns viele wissenschaftliche Theorien als Erkenntnisse und damit als Wahrheiten verkauft werden. Aber in der Wissenschaft gilt eine Theorie nur so lange als wahr, so lange sie nicht widerlegt wurde. Und das passiert eben immer wieder. Eine Ursache: Als Grundlage für wissenschaftliche Erkenntnisse dienen häufig Studien und die können ergebnisorientiert angelegt werden. Will z. B. die Pharmaindustrie beweisen, dass es bereits gesundheitsschädlich ist, einen Blutdruck von über 120/60 mmHg zu haben, dann gibt sie eine entsprechende Studie in Auftrag, die genau das belegt. Das wird dann als „neue Erkenntnis“ verbreitet und schon steigt der Absatz von Blutdrucksenkern. Gerade in Bereichen, die zu komplex sind, als dass sie wissenschaftlich vollständig erklärt werden können, kommt es immer wieder zu solchen „gewinnorientierten Wahrheitsschöpfungen“. Es bedarf dann erst einmal wieder zig anderer Studien, um die lukrative Wahrheit zu widerlegen. Ist es da ein Wunder, dass die Leute immer unsicherer werden? Was heute noch richtig ist, wird morgen verteufelt – und umgekehrt.

Im Wulst von News und Fake-News bleibt einem nichts anderes übrig, als sich ein möglichst breites Meinungsspektrum anzuschauen. Ich persönlich habe mich dafür entschieden, erst dann wieder eine der großen überregionalen Zeitungen zu abonnieren, wenn es dort eine echte Meinungsvielfalt gibt. Letztlich haben wir Leser die Macht.

Anhang:

Artikel 2 der UN-Charta

Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen:

(1) Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder.

(2) Alle Mitglieder erfüllen, um ihnen allen die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte und Vorteile zu sichern, nach Treu und Glauben die Verpflichtungen, die sie mit dieser Charta übernehmen.

(3) Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, daß der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

(4) Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.

(5) Alle Mitglieder leisten den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift; sie leisten einem Staat, gegen den die Organisation Vorbeugungsoder Zwangsmaßnahmen ergreift, keinen Beistand.

(6) Die Organisation trägt dafür Sorge, daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist.

(7) Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.

Quellen

Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Lügenpresse

UN: https://www.unric.org/html/german/pdf/charta.pdf

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Verfasst 5. Oktober 2019 von Simon in category "Meinung

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