17 Oktober 2019

Haben Sie eine klitzekleine Katastrophe für mich?

Immer wieder dürfen wir sie miterleben. Katastrophen. Sie sind enorm wichtig für die Medien. Sobald ein Unglück geschieht, wird unerbittlich darüber berichtet, ein Brennpunkt nach dem anderen gesendet und massenhaft Experten gefragt.

Und danach? Danach ist es wieder still. Danach wird auf die nächste Katastrophe gewartet – die hoffentlich (nicht so) bald kommt. Aber warum eigentlich immer nur die großen Katastrophen ausschlachten? Es gibt so viele alltägliche Dramen, die sich eignen würden.

Meine Damen und Herren. Aus aktuellem Anlass haben wir heute unser Programm geändert und senden nun einen Brennpunkt zum Thema: Das Unglück in Berlin.

Heute um 21:13 Uhr fiel in Berlin ein halb gefülltes Glas mit Rotwein auf einen sandfarbenen Berberteppich. Es zerbrach dabei und das Getränk hinterließ einen riesigen Fleck auf dem Boden. Momentan sind Spezialkräfte der Polizei vor Ort. Es ist noch nicht sicher, ob es sich lediglich um einen Unfall oder um einen mutwilligen Anschlag handelt.

Wir haben dazu zwei Experten eingeladen. Zum einen begrüße ich Herrn Dr. Pinkus Ratzenbach. Er ist Unfallsachverständiger und arbeitet in Frankfurt am Main. Und vom Institut für Reinigungsfragen an der Universität in Köln ist heute Professor Thiebald Honneke bei uns.

Herr Ratzenbach, hätte man diese Katastrophe vermeiden können?

Nun, so lange wir nicht den genauen Hergang des Unglücks oder des Anschlags kennen, wäre es reine Spekulation, diese Frage zu beantworten.

Aber was könnten die möglichen Ursachen sein?

Bisher wissen wir sehr wenig. Möglicherweise stand das Glas zu nah am Tischrand. Vielleicht ist auch irgendjemand an den Tisch gestoßen. Oder aber es wurde mutwillig umgestoßen. Ursachen kann es viele geben. Wichtig ist es jetzt vor allem diese Hintergründe zu klären und festzustellen, was genau in den letzten Sekunden vor dem Unglück geschah. Den Bildern nach zu urteilen, die mir momentan vorliegen, könnte es sich um eine absichtlich herbeigeführte Aktion handeln. Die Verteilung der Scherben deutet darauf hin, dass das Glas in einem Winkel umgekippt ist, der kaum durch unabsichtliches Stoßen zustande gekommen sein kann.

Herr Honneke, wie groß wird der Schaden sein?

Die ersten Bilder zeigen bereits, dass es ein enormer Schaden ist. Nicht nur die Flüssigkeit, die sich über den Teppich ergossen hat. Man darf auch die Glassplitter nicht vergessen, die jetzt überall zerstreut herumliegen. Es wird Wochen dauern, diese wirklich alle wiederzufinden und das Glas zu rekonstruieren.

Hatten Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn jemals eine solche Katastrophe?

Natürlich wird man als Reinigungsexperte häufiger vor solche Situationen gestellt. Aber es ist schon eines der schwersten Unglücke.

Was würden Sie den Betroffenen empfehlen?

Sie sollten sich auf jeden Fall Rat von einem Experten holen. Sonst besteht die Gefahr, dass es zu Spätfolgen kommt, die nicht mehr zu beheben sind.

Herr Ratzenbach, wie können die Opfer ein solches Ereignis überhaupt verarbeiten.

Dafür ist professionelle Hilfe notwendig. In der Regel wird in solchen Fällen eine sofortige psychologische Betreuung angeboten. Trotzdem kann es natürlich zu posttraumatischen Störungen kommen. Leute träumen zum Beispiel immer wieder von Rotweinflecken auf Teppichen oder von scharfen Glassplittern. Solche seelischen Probleme lassen sich nach einem Schock nicht gänzlich vermeiden. Wichtig ist, den Menschen einen Weg zu zeigen, wie sie damit umgehen können.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

 Alles drin. Katastrophe; Betroffenheit; Experten, die vor Spekulationen warnen; Spekulationen; die üblichen Antworten auf die üblichen Fragen.

Würde das den Katastrophenvoyeurismus und die Sensationslüsternheit nicht auch befriedigen? 



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Verfasst 17. Oktober 2019 von Simon in category "Satire

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