15 März 2020

…dann war da noch Zitronenkuchen (12)

Freitagnachmittag. Ich bin mit Schatz im Supermarkt. Es ist total voll. Einkaufsmusik dudelt aus sämtlichen Lautsprechern. Wir schlängeln uns zwischen den Regalen durch.

Muss das wirklich sein, frage ich.

Ja, wir brauchen etwas für Iris nächste Woche.

Ist es nicht schon genug, dass wir ihre Einladung angenommen haben.

Sei nicht so zynisch. Sie ist immerhin unsere Freundin – und nach dem Vorfall an Silvester… Außerdem brauchen wir noch ein paar Sachen fürs Wochenende.

Wir kommen nicht weiter, weil ein älteres Ehepaar uns den Weg versperrt. Warum müssen die Rentner auch immer freitags einkaufen? 

Entschuldigung, sage ich. Keine Reaktion. Vielleicht sind sie schwerhörig.

Entschuldigung, wiederhole ich noch einmal, nur etwas lauter.

Der Mann dreht sich mir zu und sagt:

Wir wollten Dosensuppen kaufen. Er deutet auf das leere Regal vor ihm. 

Ja, schön, entgegne ich. Es ist schon verwirrend. Sonst wird man doch nie im Supermarkt angesprochen. Außer von der Kassiererin. Und von Kollegen oder Bekannte, die man dort beim Einkaufen trifft. Aber von fremden Leuten? Was will der von uns?

Wir würden gerne hier vorbei, sagt Schatz, die in solchen Situationen immer einen kühlen Kopf bewahrt.

Alles leer, wie damals nach dem Krieg, sagt die Frau wie in Trance.

Vielleicht wird gerade umgeräumt, meint Schatz.

Nein, in den anderen Geschäften war es ähnlich, sagt der Mann. 

Brauchen wir Dosensuppen, raune ich Schatz zu.

Nein. Da sind keine Vitamine drin. Und Iris könne wir so etwas auch nicht mitbringen.

Gut.

Nachdem ich unsere Bitte wiederholt habe, lassen uns die beiden endlich vorbei. 

Ich könnte einen veganen Kuchen backen, murmelt Schatz. 

Super Idee, sage ich. Hauptsache wir kommen bald hier heraus, denke ich.

Wir bewegen uns Richtung Backwaren. Dort wo normalerweise das Mehl steht, ist – nichts.

Die räumen wohl tatsächlich um, meint Schatz. Wir fragen eine Angestellte.

Alles ausverkauft. 

Sonderangebot?, frage ich.

Nee Corona.

Wann kommt neue Ware.

Frühestens Montag. 

Wir gehen weiter. Nudel, Reis, Trockensuppen. Keine Chance. 

Wie nach dem Krieg, sagt der Mann von vorhin, den wir beim leeren H-Milch-Regal wieder treffen. 

Die Leute spinnen, sagt Schatz. 

Vielleicht sollten wir auch ein bisschen Vorrat kaufen. Ich habe vorhin noch ein paar Backmischungen gesehen, sage ich.

Schon. Aber zuerst brauchen wir noch was für Iris.

Wir könnten ihr doch einen Blumenstrauß kaufen.

Ja, das ginge, ruft Schatz erleichtert. Der ist schön und vegan. Und den brauchen wir auch heute noch nicht zu kaufen. Wo hast du die Backmischungen gesehen?

Wir eilen zurück. Ein Wulst von Menschen tummelt sich schon zwischen den Regalen. Es geht um eine Packung Grieß. Ich schiebe unseren Einkaufswagen in die Menge, um sie etwas zurückzudrängen. Schatz schafft es, sich bis zu den Backmischungen durchzuboxen. Ergebnis: zwei Packungen Dr. Oetker Zitronenkuchen. 

Besser als nichts, sagt Schatz. Warum haben wir vorhin den Grieß nicht gesehen?

Sollten wir nicht noch ein paar Tiefkühlsachen kaufen?, frage ich.

Und wenn der Strom ausfällt?

Wegen Corona?

Wer weiß, was da noch kommt. Lass uns lieber noch Knäckebrot und Zwieback kaufen. 

Gute Idee!

Zwei Packungen Knäckebrot gibt es noch im Regal. Wir sehen es von weitem, aber ein Kerl mit Schwabbelbauch hoppelt schneller dorthin und krallt sie sich. 

Wir müssen öfter joggen gehen. Selbst dieser Typ hat eine bessere Kondition als wir, sagt Schatz. Das Zwiebackfach ist leer. Weiter. 

Nüsse, sagt Schatz, die halten sich auch lange und machen satt. 

In der Backabteilung ist alles leer. Aber bei den Reformprodukten gibt es noch drei Tüten mit Walnüssen. Wir packen sie in unseren Wagen. Einige Regale weiter kämpfen gerade zwei Frauen. Die eine hat eine Packung mit Windeln aus dem Wagen der anderen genommen. Diese schwingt ihre Einkaufstasche und drischt damit auf ihre Gegnerin ein. Sie ziehen uns zerren sich an Haaren und Jacken. Bis sie wie erstarrt innehalten. 

Jemand hat geniest. Dann noch ein zweites Mal. Die Musik im Markt verstummt. Als hätte jemand die Zeit angehalten, bleiben alle wie angefroren stehen.

Sekunden der Ungewissheit. Noch einmal das Niesen. Dann meldet sich eine Lautsprecherstimme:

Liebe Kunden, bleiben sie bitte ruhig, die Polizei ist verständigt und in wenigen Minuten hier. Niemand wagt es sich zu bewegen. Dann stürmt ein Trupp Polizisten in den Markt, gekleidet mit Schutzanzug und Waffen. 

Ein langhaariger Vierzigjähriger wird abgeführt. Das ist der Kerl, der vorhin geniest hat. Der hat einen Bart und abgetragene Kleidung. Dem sieht man die Infizierung schon an. Erleichtert gehen wir weiter. Auch die streitenden Frauen fallen wieder übereinander her.

Klopapier ist alle, stellen wir fest, selbst das teurer vierlagige. Katastrophe. Womit sollen wir uns den Hintern abwischen?

Wenn wir uns beim Essen einschränken müssen, meint Schatz pragmatisch, brauchen wir auch nicht so viel Toilettenpapier. 

Wir finden noch ein paar Packungen mit Babybrei. Anfangs hat Schatz Bedenken, weil sie findet, wir sollten den Kindern nicht alles wegessen, doch ich kann sie davon überzeugen, dass die Mütter ihre Kinder einfach länger stillen können.

Und den Strauß für Iris holen wir nächsten Freitag an der Tanke, sagt Schatz.

Mit einem vollen Einkaufswagen verlassen wir den Supermarkt. 

Corona kann kommen.



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Verfasst 15. März 2020 von Simon in category "Satire", "Schatz und ich

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